Schweizer Aussenpolitik by Paul Widmer
Autor:Paul Widmer [Widmer, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fachbücher, Germanistik, Regionen, Schweiz, Geschichtswissenschaft, Staatenwelt, Europa, Politik & Geschichte, Geschichte allgemein, Theater & Drama, History, Historical Study & Educational Resources, Study & Teaching, Foreign Languages, German, Historical Study
Herausgeber: Neue Zürcher Zeitung
veröffentlicht: 2013-06-27T22:00:00+00:00
Ideale und Illusionen
Die Politik, für die sich Max Huber eingesetzt hatte, scheiterte im Wesentlichen. Am ehesten hinterliess sie noch Spuren im Schieds- und Vergleichswesen. Aber selbst diese Verfahren wurden mehr gemieden als angewandt. Die friedliche Streitbeilegung beeinflusste die zwischenstaatlichen Beziehungen nur marginal. Die differenzielle Neutralität sodann hielt den Fährnissen der Zeit nicht stand. Und der Völkerbund erfüllte die in ihn gesetzten Erwartungen in keiner Weise. Hatte Huber also eine verfehlte Politik verfolgt? Hat er sich mit seinem Idealismus geirrt? Man muss diese Frage auf zwei Eckwerte hin prüfen. Ideen sind nicht falsch, nur weil sie keinen Erfolg haben; aber eine Politik, die keinen Erfolg vorweist, ist in der Tat falsch. Politik machen heisst das Mögliche ausloten, um ihm etwas abzugewinnen; man versucht, Ideen im Rahmen des Möglichen umzusetzen. Dies ist ein mühsamer Prozess. Denn die Umgebung verändert sich dauernd. Ideen haben etwas Ewiges an sich, Politik jedoch etwas Vergängliches, Provisorisches, Tagesbehaftetes.
Huber wollte die Schweizer Aussenpolitik auf einen idealistischen Pfad führen. Gleichzeitig war er ein Traditionalist. Er hing an der herkömmlichen Neutralität. Nach dem Ersten Weltkrieg erblickte er eine Chance, um die beiden Stränge zu vereinen. Auch im Bundesrat hatte sich die Stimmung verändert. Mit Calonder und Motta standen dem Politischen Departement Idealisten vor, wie sie das Bundeshaus seit Numa Droz nicht mehr gesehen hatte. Dazu kam das allgemeine politische Klima. Europa war im Umbruch. Aber war es auch im Aufbruch? Huber, wie der Bundesrat, waren vom Konzept eines Völkerbundes angetan. Sie übersahen jedoch die Ungereimtheiten nicht. Die Völkerbundsidee und der allgemeine Friedensvertrag fügten sich nicht harmonisch ineinander. Präsident Wilson und der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau wollten in Versailles nicht dasselbe. Der eine suchte eine Friedensgrundlage für ewige Zeiten, der andere ein gegenwartsbezogenes Friedensdiktat. Der Amerikaner wollte zukünftige Kriege verhindern, der Franzose sich für den letzten Krieg am Erzfeind Deutschland rächen. Wilson blickte in die Zukunft, Clemenceau in die Vergangenheit.
Der Völkerbund trug von Anfang an den Wurm in sich, weil er Teil des Versailler Vertragssystems war. In der grossen Friedensordnung nach dem Ersten Weltkrieg stiessen zwei gegensätzliche Ideen aufeinander: der Wunsch nach Frieden und der Wunsch nach Kriegsvergeltung. Wer einen stabilen Frieden wünschte, der musste die Versöhnung anstreben, er musste alle Staaten zur Teilnahme an der neuen Liga einladen; wem es indes um Kriegsvergeltung ging, der pochte auf das Diktat des Sieges, er schloss die Unterlegenen aus. Die zweite Richtung setzte sich grossenteils durch. Staaten wie Deutschland und Russland wurde der Beitritt verwehrt, und im Völkerbund selbst sicherten sich die alliierten Hauptmächte ein drastisches Übergewicht. Sie konnten die Politik bestimmen, die sie wollten. Der von Wilson propagierte Völkerbund vergab sein nobelstes Ziel schon in der Geburtsstunde. Er schwang sich nie zu einem Friedensstifter über den Parteien auf, sondern er etablierte sich, wie Frankreich es betrieben hatte, als Kontrollorgan der Sieger und verharrte in dieser Funktion, bis es zu spät war. Zutreffend meinte Henry Kissinger: »Thus it happened that the peace concluding the war to end all wars did not include the two strongest nations of Europe – Germany and Russia –
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